Ausreisebewegung
Peter Bergmann, Fjodorowka: Er kämpfte für uns
Trotz vielfältiger Diskriminierungen, Repressalien und Verfolgungen, trotz eines massiven Assimilierungsdruckes durch die Sowjets versuchte die deutsche Volksgruppe in der UdSSR ihr Deutschtum, ihr kulturelles Erbe und ihre deutsche Identität zu erhalten. Unzählige Landsleute, die die Sowjetunion verlassen wollten, kämpften für das Ausreiserecht, um in der Bundesrepublik Deutschland als Deutsche unter Deutschen zu leben.
Im Kampf um die Menschenrechte für die deutsche Volksgruppe in der Sowjetunion, vor allem aber für das Recht auf freie Ausreise, tat sich auch PETER BERGMANN mit großem persönlichen Einsatz hervor. Viele Rußlanddeutsche haben ihn als engagierten Streiter, talentierten Organisator und unnachgiebigen Kämpfer für die freie Ausreise nach Deutschland in Erinnerung.
Peter Bergmann wurde am 8. September 1920 in Fjodorowka Gebiet Orenburg geboren. Er hatte eine für die meisten Rußlanddeutschen typische Biographie:Schindereien de Kollektivierung, Deportation, Arbeitsarmeelager, Kommandanturaufsicht, Überlebenskampf.. Von der überwiegenden Mehrzahl seiner Landsleute hob sich Peter Bergmann dadurch ab, daß seine Eltern mit allen Kindern schon 1928 aus der UdSSR ausreisen wollten. Sie kamen damals bis vor die Tore Moskaus, um mit zahlreichen mennonitischen Glaubensbrüdern nach Kanada auszuwandern.
Aber das gelang nur wenigen. Wie die meisten Ausreisewilligen jener Zeit wurde auch die Familie Bergmann in Viehwaggons verfrachtet und zurückbefördert. Den nächsten Versuch, der kommunistischen Falle zu entgehen, unternahm die Familie 1939. Aber auch dieses Wagnis scheiterte. Nach dem Tode seines Großvaters und seines Vaters war es Peter Bergmanns Aufgabe, die Familie aus dem „Arbeiter und Bauernparadies“ zu führen. Und er ließ nicht locker: 1969 beantragte er zum ersten Mal die Ausreise nach Deutschland. Nach mehreren Absagen gründete Bergmann 1972 mit einer Gruppe von Landsleuten das erste „Deutsche Nationalkomitee“ in Estland. Nach dem Scheitern der Versuche der Wiederherstellung der deutschen Autonomie an der Wolga setzte sich das „Deutsche Nationalkomitee“ zum Ziel, regionale und überregionale Komitees zu bilden und Listen ausreisewilliger Deutscher aufzustellen.
So entstanden deutsche nationale Komitees in Karaganda, Issyk, Alma Ata und Aktjubinsk. Unter großen Schwierigkeiten gelang es am 18. Mai 1973, Listen mit 39.000 Ausreisewilligen an das Deutsche Rote Kreuz, die Bundesregierung und die UNO zu schicken sowie dem Obersten Sowjet der UdSSR in Moskau zu übergeben. Warum diese Anstrengungen ergebnislos geblieben sind, ist bis heute ungeklärt.
Nur der sowjetische Geheimdienst zog daraus wie immer Konsequenzen. Die Teilnehmer an der Aktion wurden bald darauf verhaftet und mit Gefängnisstrafen belegt. Peter Bergmann mußte sein Engagement für die Rechte der deutschen Volksgruppe in der UdSSR und seinen Kampf für die eigene Ausreise von 1974 bis 1977 mit drei Jahren Haft im Gefängnis des sibirischen Tjumenj bezahlen. (Er wurde am 11. April 1974 wegen „Verleumdung der UdSSR“ verurteilt.) Während dieser Zeit durfte ihn seine Frau nur einmal besuchen. 1977 kam Bergmann halbtot nach Hause. (Nach unvollständigen Angaben wurden in den 70er Jahren sechs Frauen und 76 Männer zu Freiheitsstrafen zwischen einem und drei Jahren verurteilt.)
Erst 1980, nach Solidaritätsdemonstrationen in Bonn und zahlreichen Eingaben bei verschiedenen internationalen Instanzen, die zum Teil auch namhafte Politiker unterschrieben, durfte die Familie Bergmann endlich nach Deutschland ausreisen. Bergmann selbst schrieb an die sowjetische Regierung: Ich und alle Mitglieder meiner Familie protestieren grundsätzlich gegen jede Form der Zwangsassimilierung und bitten daher (schon zum 2. Mal), uns die Ausreise aus der UdSSR in die Bundesrepublik Deutschland zu erlauben, die unsere historische Heimat ist. Ich bitte Sie dabei zu berücksichtigen, daß mein Vater und mein Großvater die Regierung der Sowjetunion bereits in den Jahren 1926 29 mehrmals mit dieser Bitte angegangen sind…“
Am 12. Oktober 1988 starb Peter Bergmann nach einem langen Herzleiden. Er errang seine Freiheit mit großen persönlichen Opfern. Aber sein Dornenweg erleichterte anderen Deutschen die Ausreise. So tat er seine Pflicht, wie sie viele andere Kämpfer für die Ausreise in unsere historische Heimat taten. Unsere Pflicht sowie die Pflicht unserer Kinder und Kindeskinder ist es, das Andenken an die Teilnehmer an unserer nationalen Bewegung in Ehren zu halten.
Die Teilnehmer an der Ausreisebewegung wollen während des Bundestreffens 1998 einen Infostand der verfolgten, umgebrachten und verschollenen Landsleute, die dem Stalinismus zum Opfer gefallen sind, sowie der Kämpfer für die Ausreise der 70er Jahre aufstellen. Dabei werden auch einige Veröffentlichungen gezeigt, die bereits während des Landestreffens in Hessen zu sehen waren. An diesen Aktivitäten beteiligt sich auch Frau K. Armborst aus Münster, die eine Doktorarbeit über die Beweggründe der nationalen Minderheiten, die Sowjetunion zu verlassen, schreibt.
Eduard Deibert
(VOLK AUF DEM WEG 2/98)